Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Shortcuts a Roma - Elegien


Shortcuts a Roma


Seit April 2011 schreibe ich an einem guten Dutzend Elegien - weitest gehend - zum Thema Rom.
Auch hier bieten sich Vertonungen an.

Mit Rom ist für mich mehr als nur der positiv rezerpierte kulturelle Fixstern gemeint, ein kritisches Auge kann kaum übersehen, dass Rom heute wie zur Zeit nach der antiken Hochblüte immer auch Ausdruck und Allegorie der menschlichen Dekadenz und Hybris sein kann. Armes Land und arme Stadt vor allem. Ich habe dort im April 2011 etwas verzweifelt wirkende Intellektuelle kennen gelernt, die uneins darüber sind, welche Ideale nun für ihre Zukunft als annehmbar erscheinen. Viele orientieren sich geistig weniger an Europa, eher noch sogar noch an Russland, Vladimir Putin imponiert manchen in gewisser Weise. Deutschland versetzt sie in Bewunderung und Zorn gleichermassen, beruhigend, denn alles andere derzeit wäre kaum langfristig hilfreich und oft geht es uns Deutschen ja auch nicht viel anders mit Italien.Kein Wunder ist dabei auch, die oft spürbare, instinktive Suche nach einfach wirkenden Lösungen. Silvio Berlsuconi war nicht etwa Ausdruck einer Marotte der Italiener, er ist Symptom einer jahrhundertealten Sehnsucht nach einer einfachen Lösung im Meer der Veränderungen, ohne im Grundverständnis viel verändern zu müssen. Dennoch. Einigen in Italien geht es um eine "Alphabetisierung im Sinne der Demokratie", wie z.B. aktuell dem linken Spitzenpolitiker Italiens, Nichi Vendola, der unlängst ein Buch darüber herausgebracht hat, wie man die Staatskrisen in Europa überwinden könnte. Dabei geht es um den Versuch, eine moderne linke Politik zu formulieren. Und genau diese "Alphabetisierung im Sinne der Demokratie" ist das Problem in Europa. Und weltweit. Da sind - auch zu Zeiten der Globalisierung der Finanzlogik - nämlich alle Italiener. Denn die Lobbies von im Ganzen vielleicht 500 Firmen und ca. ebenso vielen Schattenbanken bestimmen derzeit über das Wohl der Menschheit.

An dieser Stelle nun auch etwas zum elegischen Versmass, es gibt viele deutschsprachige Lyriker, die dieses Versmass zur Grundlage einiger ihrer Werke herangezogen haben, allerdings wenige in den letzten Jahrzehnten. Mich hat seit den späten achtziger Jahren die durch Zufall gefundene Gedichtsammlung 'Kirchberger Idyllen' des schweizerischen Schriftstellers Hermann Burger von 1980 fasziniert. Hier war jemand, der mit Sprachgewalt, Wortwitz, Ironie, aber auch mit Gefühl für die Würde der Form tatsächlich in der Lage war, in moderner Sprache (wenn auch Schweizerdeutsch! :-)) ) glaubwürdige Elegien zu verfassen!
Hermann Burger ist allerdings ein spezieller Fall, nicht nur als Elegienschreiber, auch als suizidgefährdeter Ästhet ging Burger in die Literaturgeschichte ein, insofern sind auch die Elegien Teil seines "Programms".
In einer denkwürdigen Aufzeichnung des Literarischen Quartetts im ZDF aus dem Jahr 1989 kann man ab der 10ten Minute Marcel Reich-Ranicki und seine GegenspielerInnen diskutieren hören, bis an die Schmerzgrenze des für die Zuschauer noch Erträglichen. Hut ab aber vor allem vor Ranicki, er bewahrt hier die Professionalität ohne den Verstand - aber auch sein Herz - zu verlieren.

Man findet insgesamt gesehen solche Nachahmungen antiker Versmasse in der modernen deutschsprachigen Lyrik viel häufiger, als man auf Anhieb eventuell vermuten mag, darunter auch viele Nachformungen aller gängigen antiken Odenstrophen ... . Dazu aber an anderer Stelle mehr (auch zu den Problematiken, die dies mit sich bringt). Diese Anpassungen und Anwendungen alter Formen für Dichtung hat mich jedenfalls nicht mehr los gelassen und war mir auch öfter schon ein Ansporn, so etwas mit passend erscheinenden Themen doch auch einmal zu versuchen. In den 1990er Jahren ein paar Mal. Und zuletzt nun eben wieder im Jahr 2011, mit dem grössten möglichen Klischee in diesem Zusammenhang als Horizont, - nämlich eigenen "Römischen Elegien".
Auch hier war ich beileibe nicht der erste (Römische Elegien, Brodsky, 1985), auch nicht der fünfte (Grünbein, A Roma, 2010) ... nein, eher ein Wanderer in einer langen Prozession. Sich dessen bewusst zu sein ist aber kein Grund, es nicht doch zu tun.
Schliesslich hat man nur ein Leben!  :-)

Durs Grünbeins Texte aus Rom habe ich erst bemerkt, als ich schon die meisten meiner eigenen Gedichte zum selben Themenkomplex bereits verfasst hatte. Darüber bin ich heute ziemlich froh, wie sich heraus stellte wollte ich insgesamt den gedanklichen Horizont ohnehin noch etwas anders gelagert haben. Da hätten andere sprachmächtige Varianten (Grünbein schreibt übrigens keine Distichen, sondern in Hexametern, die er dann nach und nach zerfallen lässt in freie Verse) mich nur zu sehr abgelenkt. Mir selbst ging es tatsächlich mehr um 'Rom im Geiste', also als imperialistisch-humanes, kulturelles und zeitloses Phänomen. Da muss man dann die aktuellen Entsprechungen Russland, USA und China nennen. Und genau solche etwas weiter interpretierten, geistigen Eckmarken bei der Absteckung des betrachteten Horizontes fehlen mir bisher bei allen lyrischen Rom-Rezipienten gleichermassen. Einem Dichter wie Heinrich Heine wäre so etwas vermutlich nicht entgangen. Eigentlich schade, dass er sich darin nicht auch einmal versucht hat. Für mich jedenfalls, der ich selbst nur einen Steinwurf entfernt von der Nürnberger Kongresshalle (dem sogenannten "Nürnberger Colosseum") aus der Nazizeit aufgewachsen bin, ist es undenkbar, sich auf Rom zu beziehen, ohne diesen geistig prägenden Komplex auch in, z.B., einem solchen Licht zu betrachten. Diese scheinantike Kongresshalle aus teutonischem Granit anstatt aus apenninischem Marmor ist immerhin der grösste erhaltene nationalsozialistische Monumentalbau in Deutschland.
Und schliesslich habe ich dort, auf den Stufen, auf denen Hitler seine Reden am Zeppelinfeld gehalten hat, mit guten Freunden im Sonnenuntergang Pizza Knoblauch gegessen, Musik gehört und - italienischen - Wein getrunken. Im Luitpoldhain nebenan habe ich das Fahrradfahren gelernt. Und so sind die beklemmenden Monumentalbauten Nürnbergs auch immer ein Teil meiner ansonsten eher unbeschwerten Jugend in Nürnberg. Nur, darf ich mich deshalb schon Römer nennen? Ja. Weil ich es vielleicht sogar muss.
Wie auch immer: Wenn man die Möglichkeit thematischer Vernetzungen hat, sollte man sie nutzen, das Verstandene einbeziehen, auch, wenn es manchmal den Schmerz der Relativierung voraussetzt. Das Ergebnis wird dennoch lebendiger sein.

Mein Gedichtzyklus 'Shortcuts a Roma' im elegischen Versmass ist nach April 2011 und in den Folgemonaten entstanden. Es ist ein Zyklus, der sich aufs historische und aktuelle, aber auch aufs kulturhistorisch fiktive Rom bezieht, der jedoch auch regionale Besonderheiten meines persönlichen Lebens in Süddeutschland und globale Entwicklungen und kulturphilosophische Themen mit anreisst. Und das hat sogar recht gute Gründe, wie ich selbst erst beim Schreiben bemerkt habe. ;-)

Den Beginn habe ich dabei scheinbar weit entfernt vom warmen Rom gesetzt, mitten in die Nordbayerische Provinz, mit einem erst relativ spät im Zyklus entstandenen Gedicht, - vom Juli 2011. (Alle, die damals in Hammerschmiede beim Schreiben dabei waren, wissen nun sicher, was es bedarf, um ein Gedicht zu schreiben. ;-) )

Dieses Gedicht vom 29.07.2011 habe ich für diesen Blog am 26.11.2011 mit einem Musikstück vom 15.12.1999  zusammen gebracht, das Stück heisst 'Human'.  (Die Komposition habe ich ebenfalls mit der Fraktal-Algorithmus-Software "Musinum" von Lars Kindermann aus Erlangen verwirklicht, es sind die ersten 96 Sekunden dieses - potentiell - unendlich langen Stückes, ... ein Fraktal eben).



Hier nun die Kostprobe meiner bisher 13 Elegien aus diesem Zyklus.


Teil 1 aus Shortcuts a Roma:



Der fränkische Einsiedler
(am Lachsenweiher bei Hammerschmiede)



… Schokoladensee nennen die Kinder den Weiher, sein Wasser:
            Sauber und braun zugleich! Karpfen durchwühlen den Grund. …
Zwanzig Jahre vergingen, seit hier ein Einsiedler lebte.
            Einsamkeit gab ihm den Raum Trauer zu füllen mit Sinn, –
Nichts mehr im Sinn mit der Menschheit, Grausamkeit und Gesellschaft. –
            Wind streichelt leise das Land, schützend deckt er das Haar. ...
Was dieser Mensch im Krieg erlebte, erlebten so viele!
            Zuversicht, plötzlich zerfetzt, flüchtig im Tod entspelzt:
Krieg und Verfall, Ermordung der Lieben vor seinen Augen. ...
            Nichts holte sie je zurück. … Einsamkeit gedenkt.
Unabhängig von der Bildung, die ihn ereilte,
            Traf ihn Geschichte ins Herz, machte ihn zu ihrem Teil.
Harmonie war ein Fremdwort, kein Mann von Vitruv half, das gute
            Klassische Menschenbild hatte ihn auch nicht erfüllt.
Nachts schöpft er – scheints – noch sein Wasser im Wald aus klarer Quelle:
            Frieden zu finden ist schwer, Einsiedlertum gibt ihn frei. ...
Unruhe hüllt diese Welt ein in Nebel aus wilden Gedanken,
            Unreif wie Vitriol. Schwerkraft klärt Wasser wie Herz. …
... Karpfen trüben den Weiher. Auf Suche nach lebendigem Futter
            Werden die Fische Symbol – Unruhe, ständig: „Obwohl!“




29.07.2011


Arno Schlick   2011 

QR-Code zu diesem Gedicht:



Audio als Video zu diesem Gedicht:





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen